Kreuzsteine sind zwar aus hartem Stein gearbeitet sein, aber sie zeigen eine filigrane Eleganz, die einzigartig ist für die armenische Kunst. Sie sind ein ganz zentrales kulturelles Symbol Armeniens. Die ältesten Kreuzsteine (im heutigen Sinne) stammen aus dem 9. Jhdt.. Aber schon in der vorchristlichen Zeit gab es grobförmigere, sehr einfach gestaltete Steinsäulen/Menhire/Pfeiler/ Obelisken, die als Vorläufer der späteren Kreuzsteine gelten und meist nur ein Kreuz mit kleineren, umgebenden Kreuzen zeigen. Der erste detailreiche und aufwändig gearbeitete Kreuzstein (der uns bekannt ist)

entstand 879 n.Chr. auf Auftrag der Königin Katranide und steht im hellenistischen Tempel in Garni am Rande der Schlucht Asat. Ab dem 10. Jhdt. erlebte das armenische Siedlungsgebiet einen wirtschaftlichen wie kulturellen Aufschwung, was sich auch im Bau vieler Klöster und der Weiterentwicklung von Architektur, Malerei, Bildhauerei und eben auch Steinmetzarbeiten nachvollziehen läßt. Der Höhepunkt der Kreuzstein-Gestaltung in Armenien war im 12. und 13. Jhdt. mit künstlerisch sehr sehenswerten Steinen. Die bis heute erhaltenen Steine stammen meist aus dieser Zeit. Bis ins 18. Jhdt. wurden weiter Kreuzsteine gestaltet, auch wenn die Steinbildhauer nie mehr das künstlerische Niveau früherer Zeiten erreicht haben. Die Tradition der Kreuzstein-Herstellung ist erst seit der 2. Hälfte des 20. Jhdt. insofern wiederbelebt, als dass man wieder einige wenige Chatschkar-Bildhauer in der Gegend rund um Yerevan findet.

Ein Kreuzstein ist eine Stele aus Stein, ein Monolith, eine aufrecht stehende rechteckige Steinplatte von bis zu 3 Metern Höhe. Diese werden auf einer Seite („Schauseite“) mit Flachreliefs aufwendig und in der Entwicklungsgeschichte zunehmend kunstvoll verziert. Hochwertige Steine sind in der Regel vollständig bemustert. Im Mittelpunkt aller Kreuzsteine steht das armenische Kreuz, i.d.R. auf einem stilisierten Golgotha-Hügel. Es wird als Lebensbaum dargestellt und wächst aus einer Wurzel – das Kreuz prägt den gesamten Stein. Aus diesem Kreuz treten neue Ranken hervor: So verweist das Kreuz zwar auf die Kreuzigung und den Tod Jesu, es verheißt aber zugleich neues Leben, das aus ihm erwächst.

Das Kreuz als zentrale Figur wird von reichen Verzierungen/Ornamenten umrahmt: Flechtwerk und Knotenmuster, geometrisch oder floral, die durchaus auch an keltische Muster erinnern sowie oft Oktogone wie der armenische achteckige Stern. Alles Muster und Ornamente mit „Unendlichkeitscharakter“, bei denen z.B. eine Linie oder ein Band nie endet, sondern zu sich zurückkehrt oder Muster mit einer Zahlensymbolik von Anfang, Ende und Neubeginn, die damit von Hoffnung künden; auch Rosetten, Pflanzenmotive wie Ranken, Weinreben, Wurzeln, Akanthusblätter etc., Tierfiguren, biblische Motive, manchmal auch Schriftzeichen etc. finden sich. Oft ist auch in der unteren Hälfte des Steines eine „lebensspendende“ Sonnenscheibe gestaltet. Gelegentlich wird der Stein oben darüber von einem Gesims (ein oberer Giebelstein, „Architrav“) mit biblischen Themen, Engel- oder Heiligengestalten (die Gott verehren) bekrönt. Weniger häufig finden sich Chatschkare, die ganze Geschichten erzählen: einer der bekanntesten ist der “All-Erlöser-Kreuzstein” von 1273 im Kloster Haghbat, ein echtes Kleinod armenischer Steinmetzkunst.

Wissenschaftler ordnen die Steine in mehrere „Gruppen“, aber es heißt, nicht zwei Kreuzsteine im Land seien sich gleich, jeder einzelne ist ein Unikat. Die Ausführung des Kreuzes wie die rundherum angeordneten Verzierungen, Ornamente und Muster jedes Mal individuell gestaltet. So bleibt jeder Kreuzstein einmalig und ist nie die Kopie eines anderen.

Die Rückseite bleibt i.d.R. glatt/unverziert, ist aber manchmal auch mit Schrift oder der Angabe des Künstlers versehen. Diese Inschriften, die oft Stifter, die Steinmetze oder Ereignisse benennen, sind wichtige Zeugnisse und Dokumente der Geschichte Armeniens.

Chatschkars sind in der ersten Linie Denkmäler, „Gedächtnis-Steine“, Glaubenszeugnisse und erst danach Grabsteine. Sie wurden als Sinnbilder für Erlösung und Auferstehung geschaffen, als Geschenk für Klöster oder zur Erinnerung („Gedächtnis“) z.B. an die zentralen Aussagen der Bibel (als „Bibel für Arme“), aber auch an wichtige historische Ereignisse, die Fertigstellung wichtiger Bauwerke oder auch einfach zur Verbreitung der christlichen Lehre. Mit manchen soll die Seele errettet werden, einer unerfüllten Liebe gedacht oder auch der Schutz vor Naturkatastrophen erbeten oder dafür gedankt werden. Auch zerbrochene Steine werden oft aufbewahrt und zeugen von früheren Stilen, Mustern, Ornamenten. Der Ort mit der größten Ansammlung von Chatschkaren in Armenien ist heute ein Friedhof mit rund 900 Chatschkaren aus verschiedenen Perioden und verschiedener Arten in Noratus am westlichen Ufer des Sewansees. Bis zur Zerstörung war der Friedhof von Culfa in Nachitschewan (heute eine autonome Republik in Aserbaidschan) die größte Ansammlung. Der Culfa-Friedhof bestand bis 2005 als Aserbaidschan eine systematische Kampagne einleitete, die Monumente vollständig zu zerstören. Die Art und der Umfang der Zerstörungsaktion wird von supranationalen Behörden durchaus mit der Zerstörung des Bamiyan Buddhas in Afghanistan durch die Taliban verglichen. “Die Zerstörungsaktion zeuge vom Fehlen jeglichen Respekts vor dem Kulturerbe anderer Völker (The Independent, 30. Mai 2006)”. 

Heute gibt es in Armenien ungefähr (noch) 40.000 Chatschkare, viele sind in die Wände der Klöster eingebaut, viele stehen aber auch im Freien. Die folgenden drei Chatschkare gelten als die sehenswertesten, künstlerisch hochentwickelsten Beispiele dieser Kunstform:

  • Im Höhlenkloster Geghard: gefertigt 1213 vermutlich durch die Meister Timot und Mechitar
  • Im Kloster Haghpat: gefertigt 1273 durch Vahram
  • In Gosch im Kloster Goschawank: gefertigt 1291 durch Phoghos

Einige sehr wertvolle Exemplare wurden in das historische Museum in Yerevan sowie hinter die Kathedrale von Etschmiadsin (dem Sitz des Katholikus der armenischen Kirche) gebracht. In den armenischen Kreuzsteinen lebt die Kunst der toten Meister weiter, ebenso die Botschaft eines in der Geschichte so häufig bedrängten Volkes von Wehrhaftigkeit, Frömmigkeit und Andacht.